Hausarbeit: Die politischen Systeme der Benelux-Staaten im Vergleich

Universität Heidelberg
Institut für Politische Wissenschaft
Proseminar: Westeuropas Demokratien im Vergleich
Sommersemester 1998
Leitung: Prof. Dr. Dieter Nohlen
Autor: Mathias Wieland, Philipp-Otto-Runge-Str. 4, 69126 Heidelberg, 06221-315342
Studiengang: Mathematik / Politikwissenschaft (Staatsexamen)
4. Fachsemester

Inhalt


I. Vorbemerkung

Bei Ländervergleichen geht es meist um den rein formalen Vergleich der politischen Systeme. Dabei spielt die geographische Lage der Staaten zueinander keine Rolle. Ob jetzt nun Deutschland mit den USA oder Großbritannien mit Neuseeland verglichen wird, ist relativ egal. In dieser Arbeit sollen nun aber die politischen Systeme von Belgien, den Niederlanden und Luxemburg verglichen werden. Diese Staaten sind nicht nur geographisch eng miteinander verbunden. Sie sind auch wirtschaftlich, politisch und kulturell eng miteinander verflochten. Genau diese Verflechtung zwischen diesen drei Ländern bzw. das gemeinsame Auftreten dieser bewirkte die Prägung des Begriffes Benelux. Dies ist eine Besonderheit bei einem Vergleich der politischen Systeme. Deshalb werde ich kurz auf die Geschichte dieser engen Zusammenarbeit eingehen.
Schon vor dem zweiten Weltkrieg gab es eine engere Zusammenarbeit von Belgien und Luxemburg. Diese Zusammenarbeit dehnte sich mit dem 1944 abgeschlossenen Zollabkommen der Exilregierungen auf alle heutigen Benelux-Länder aus. Schon 1957 wurde ein gemeinsamer Arbeitsmarkt geschaffen und 1958 weitete sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Vereinbarung einer schrittweisen Wirtschaftsunion aus. Die Integration der Benelux-Staaten hat und hatte eine Vorbildfunktion für den europäischen Einigungsprozeß (vgl. Lepszy/Woyke 1985: 213).
Ziel dieses Referats ist es nun, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser 3 politischen Systeme im einzelnen herauszuarbeiten. Dabei wird der Begriff der Konkordanzdemokratie eine ganz zentrale Rolle spielen. In der politikwissenschaftlichen Literatur werden die Benelux-Staaten als solche bezeichnet (vgl. Lehmbruch: 351; vgl. Schroen 1997: 399).
Der Begriff Konkordanzdemokratie wird sich durch das ganze Referat hindurchziehen und ich versuche immer wieder Elemente, die Konkordanzdemokratien charakterisieren herauszuarbeiten.

II. Die Benelux-Staaten im Vergleich

Wie in der Einleitung erwähnt soll es um die Charakterisierung der Benelux-Staaten als Konkordanzdemokratien gehen. Nach Lepszy kennzeichnet eine Konkordanzdemokratie die Stabilität eines politischen Systems trotz starker gesellschaftlicher Konflikte (vgl. Lepszy 1985: 162). Also ist eine heterogene Gesellschaft mit starken Konfliktlinien Voraussetzung für Konkordanzdemokratien.
Weiter gibt Lepszy Bedingungen an, unter denen eine solche Konkordanzdemokratie stabil bleibt. Diese sind erstens die Kooperationsbereitschaft und gute Kooperation zwischen den politischen Eliten der potentiellen Konfliktparteien. Die zweite Bedingung für die Stabilität ist, daß es institutionalisierte Konfliktregelungsmechanismen gibt. Und die dritte Voraussetzung ist, daß die Entscheidungen der Eliten auch von ihrer Basis anerkannt werden (vgl. Lepszy 1985: 162).
Ob diese drei sehr allgemeinen Bedingungen voll und ganz zutreffen, kann ich in diesem kleinen Referat nicht nachweisen. Aber ich versuche zumindest einige Aspekte herauszuarbeiten, die dafür sprechen, daß es Konkordanzdemokratien sein könnten.
Wie vorhin erwähnt waren gesellschaftliche Konfliktlinien (cleavages), die die Gesellschaft polarisieren eine Voraussetzung für eine Konkordanzdemokratie. Beispiele für Konfliktlinien wären der religiöse cleavage zwischen Protestanten und Katholiken oder der sozio-ökonomische cleavage zwischen Unternehmern und Beschäftigten.
Da die cleavages sich auf die Parteienlandschaft auswirken, lassen sich die Gegensätze, die in einem Land vorherrschen sehr gut am Parteiensystem ablesen.

II.1. Parteiensystem

Nach von Beyme sind die Parteiensysteme der Beneluxländer dem gemäßigten Pluralismus zuzuordnen. Speziell dem Typ, in dem Koalitionen der Mitte und große Koalitionen vorherrschen (vgl. Beyme: 515). Nach Sartori kennzeichnen folgende Merkmale (im folgenden Sartori 1-3) den gemäßigten Pluralismus. Erstens stehen die relevanten Parteien in relativ geringer ideologischer Distanz zueinander. Zweitens existiert in einem solchen System eine Neigung zur polaren Koalitionsbildung und drittens gibt es ein Vorherrschen des zentripetalen Wettbewerbs (vgl. Beyme: 515). Wie die Ausprägung dieser einzelnen Merkmale in den jeweiligen Parteiensystemen der drei Länder aussieht, versuche ich im folgenden darzustellen.
In allen Benelux-Staaten existieren traditionelle Volksparteien. Dies sind jeweils christliche, sozialistische und liberale Parteien. So gibt es in Belgien die Katholische Volkspartei (CVP/PSC), die Belgische Sozialistische Partei (PSB/BSP) und die Liberale Partei (PLP/PVV). In den Niederlanden gab es bis 1975 die Katholische Volkspartei (KVP) und zwei protestantische Parteien[1], die sich 1975 zum Christlich-Demokratischen Appell (CDA) zusammenschlossen. Die beiden anderen Volksparteien der Niederlande sind die Partei der Arbeit (PvdA)[2] und die Liberal-Konservative Partei (VVD). In Luxemburg gibt es die Christlich-Soziale Volkspartei (CSV), Sozialdemokratische Partei (LSAP) und Liberale Partei (vgl. Woyke 1997: 369ff.; Lepszy 1997: 335; Lepszy/Woyke 1985: 187).
Die Regierungsbildung wird von diesen 3 großen Parteien maßgeblich bestimmt. Besondere Bedeutung hat die christliche Partei in den drei Ländern: Die Katholische Volkspartei in Belgien war fast durchgängig an der Macht[3]. Die christlichen Parteien des CDA in den Niederlanden waren durchgängig bis 1994 an der Regierung beteiligt. Die CSV in Luxemburg ist von 1919 bis heute fast ausnahmslos Regierungspartei[4].
Bei Auswertung der Regierungskoalitionen von 1945 bis heute stellt man fest, daß eine gewisse Regelmäßigkeit existiert. Die christliche Partei koaliert entweder mit der sozialistischen oder der liberalen Partei[5]. Dies entspricht der Neigung zur polaren Koalitionsbildung (Sartori 2) und damit den Kriterien des gemäßigten Pluralismus.
In Belgien und Luxemburg gab es teilweise Regierungen, in denen Liberale und Sozialisten zusammen waren. In den Niederlanden gab es erstmals 1994 eine Koalition von Sozialisten und Liberalen. Da die Sozialisten eher Interessen der Beschäftigten und die Liberalen eher Unternehmerinteressen vertreten, deuten diese Koalitionen auf eine geringe ideologische Distanz zwischen ihnen hin (Sartori 1). Auch der zentripetale Wettbewerb wird damit deutlich, bei dem sich die Parteien programmatisch immer mehr auf die Mitte zu bewegen (Sartori 3).
Um weiter in die Parteiensysteme Belgiens und der Niederlande vorzudringen, bedarf es mehrerer Erläuterungen.

»Sprachenstreit«

In Belgien gibt es einen »Sprachenstreit«[6] zwischen Flamen und Wallonen, der eigentlich ein Nationalitätenkonflikt zwischen den französisch-orientierten Wallonen und den niederländisch-orientierten Flamen ist. In den 60er Jahren flammten die Gegensätze zwischen den beiden Volksgruppen erneut auf. Dies wirkte sich auch auf das Parteiensystem Belgiens aus. So bildeten sich sogenannte Sprachenparteien, die jeweils nur eine der beiden Volksgruppen vertraten. Beispiele dafür sind einerseits die Flämische Volkspartei und auf der anderen Seite die Frankophone Demokratische Front. Diese Parteien waren und sind so stark, daß sie auch als Koalitionspartner relevant wurden. So waren seit Mitte der 70er Jahre immer wieder solche Sprachenparteien in der Regierungsverantwortung. Der Nationalitätenkonflikt erfaßte auch die großen Volksparteien: die katholische, sozialistische und die liberale Partei. Diese vormals gesamtstaatlich auftretenden Parteien spalteten sich in einen wallonischen und einen flämischen Teil. Sie traten aber trotz aller innerparteilichen Konflikte noch gemeinsam zu den Wahlen an (vgl. Woyke 1997: 373).
Der häufigste Koalitionstyp in Belgien ist die große Koalition zwischen Katholischer Volkspartei und Belgischer Sozialistischer Partei (vgl. Woyke 1997: 367). Dies deutet wiederum auf einen zentripetalen Wettbewerb hin (Sartori 3). Diese Koalitionsform ist eigentlich eine 4-Parteienkoalition, weil sowohl die Christliche Partei als auch Sozialistische Partei einen flämischen als auch wallonischen Teil besitzt. So ist auch die hohe Zahl der Koalitionspartner von 3-5 Parteien pro Koalition zu erklären (vgl. Woyke 1997: 364). Seit den 60er Jahren hat Belgien ungefähr 6 Parteien über der 2%-Marke (vgl. Woyke 1997: 372f.).

Versäulung

Für die Struktur der Gesellschaft der Niederlande prägten niederländische Soziologen den Begriff der »Versäulung« (vgl. Lehmbruch: 352). Dies bedeutet, daß verschiedene voneinander isolierte Volksgruppen existieren, die sehr wenig miteinander kommunizieren und agieren. In den Niederlanden sind dies speziell Katholiken, Protestanten und Sozialisten. Jede Volksgruppe ist in ihre Säule weitestgehend integriert. Eine Säule umfaßt die verschiedensten Bereiche der Gesellschaft, wie z.B. Medien, Parteien und Gewerkschaften. So haben Katholiken, Protestanten und Sozialisten im Königreich jeweils ihren eigenen Rundfunk- und Fernsehsender (Lepszy 1997: 347f.). Aber alle Säulen stützen ein gemeinsames Dach, die Niederlande. Dem konkordanzdemokratischen Modell zufolge braucht es einer starken Kooperation auf Elitenebene, um eine solch heterogene Gesellschaft stabil zu halten.
In den 60er und 70er Jahren gab es eine starke Bewegung, die sich gegen die von diesen Eliten betriebene »Entpolitisierung« richtete (Lepszy 1997: 337). Dies führte auch zum Umbruch des Parteiensystems in den 60er und 70er Jahren. Es kam zur Gründung der sogenannten »Anti-Versäulungsparteien«. Dazu gehörten die linksliberalen Demokraten D'66, die Pazifistisch-Sozialistische Partei (PSP) und die Progressiv-Radikale Partei (PPR). Auch die christlichen Parteien formierten sich um, und schlossen sich zum Christlich-Demokratischen Appell zusammen. Alles in allem führte dies zu einer starken Fragmentierung des Parteiensystems (Nohlen: 514). So überwanden bei den Wahlen 1994 11 Parteien die 1%-Hürde.
Es gibt die These von der »Entsäulung« der Niederlande (Lepszy 1997: 341). Damit ist der Niedergang der traditionellen Versäulungsparteien gemeint. Die Wahlen von 1994 scheinen diese These zu bestätigen. Die beiden Versäulungsparteien (CDA und PvdA) hatten danach zusammen keine Mehrheit mehr (Lepszy 1997: 338). Und Sozialisten, Liberale und die Anti-Versäulungspartei D'66 bildeten die Regierung.

Grüne Parteien

Besondere Aufmerksamkeit sollte man auf die grünen Parteien der Benelux-Länder richten. Seit Mitte der 80er Jahre bringen sie den cleavage zwischen Postmaterialismus und Materialismus in die Politik der drei Staaten. In Belgien gibt es gleich zwei grüne Parteien, eine flämische und eine wallonische. Somit zieht sich der belgische Nationalitätenkonflikt durch das ganze Parteiensystem. In den Niederlanden gibt es die Grüne Linke, in der auch zwei Parteien der Anti-Versäulungsbewegung (PSP und PPR) integriert sind. Auch in Luxemburg haben sich (nach einigen Spaltungen und Umgruppierungen) die Grünen als reformorientiert ökologische Partei etabliert (vgl. Schroen 1997: 395).

II.2. Föderalismus

Betrachtet man die föderalen Strukturen der Benelux-Länder, so ist auffällig, daß nur Belgien als Föderalstaat bezeichnet werden kann. Die Niederlande besitzt sehr wenig föderale Elemente und Luxemburg besitzt gar keine föderale Struktur[7].

Die belgischen Regional- und Gemeinschaftsräte

Der belgische Föderalstaat existiert erst seit 1993. Mit der Einrichtung seiner föderalen Strukturen wurde auf die Verstärkung des Nationalitätenkonflikts zwischen Flamen und Wallonen reagiert. So gibt es Gemeinschaftsräte für die drei in Belgien vertretenen Sprachgruppen, jeweils einen für die Flamen, Wallonen und die Deutschen. Jeder Flame - egal wo er ansässig ist - wählt also Abgeordnete für den flämischen Gemeinschaftsrat. Analog wählen die Wallonen und die deutschsprachigen Belgier ihren Gemeinschaftsrat.
Diese Gemeinschaftsräte der Nationalitäten sind aber nur ein Teil des belgischen Föderalismus. Darüber hinaus gibt es auch noch drei territoriale Regionen. In Flandern, Wallonien und Brüssel (Hauptstadt) werden die Abgeordneten der Regionalräte gewählt. Um den Wählerwillen möglichst genau in die Räte zu transferieren, werden die Abgeordneten beider Räte durch Verhältniswahl bestimmt. Dies ist ein Merkmal von Konkordanzdemokratien.
Die Regional- und Gemeinschaftsräte teilen sich die föderale Gewalt[8]. Die Gesetzgebungskompetenz der Regional- und Gemeinschaftsräte erstreckt sich ähnlich wie im deutschen Föderalismus auf die Bereiche Kultur, Bildung, Sport und Wissenschaft (wie z.B. Sprache, Medien). Sie können sogar internationale Verträge abschließen. Nur wenn auch gesamtstaatliche Interessen betroffen sind. müssen der belgische Senat und die Abgeordnetenkammer zustimmen.

Provinzen

Neben der Einteilung in Regionen ist Belgien noch in 10 Provinzen gegliedert. Ebenso sind die Niederlande in 12 Provinzen eingeteilt. Die Provinzparlamente werden in beiden Ländern mit reinem Verhältniswahlrecht ohne Sperrklausel gewählt. Diese haben aber in beiden Ländern nur Verwaltungs- und Exekutivfunktion. In Belgien haben sie keinerlei Gesetzgebungskompetenz. In den Niederlanden hat das Provinzparlament wenigstens eigenes Haushaltsrecht (vgl. Lepszy 1997: 350). In Belgien und den Niederlanden besteht die provinziale Exekutive aus 6 Mitgliedern. Der Vorsitzende dieses Organs ist in Belgien ein von der Krone auf Lebenszeit eingesetzter Gouverneur. In den Niederlanden nimmt diese Funktion ein von der Königin bzw. dem Innenminister ernannter »Kommissar der Königin« wahr.

Senat

Eine weitere föderale Institution in Belgien und den Niederlanden ist der Senat. Er ist mit dem Bundesrat vergleichbar. Hat aber weit weniger Einfluß.
In den Niederlanden wird der Senat von den Provinzparlamenten gewählt. Obwohl dies der Fall ist, sehen sich die 75 Senatsmitglieder in den Niederlanden nicht als Vertreter der Provinzen. Sie müssen nicht einmal aus ihnen stammen (Lepszy 1997: 350). Der Senat hat aber dafür auch kein Recht zur Gesetzesinitiative. Er kann Gesetzentwürfen der Regierung nur zustimmen oder sie ablehnen (Lepszy 1997: 332).
Die Wahl der 71 belgischen Senatoren gestaltet sich etwas kompliziert. Es werden dabei wieder besonders die Sprachgruppen berücksichtigt. 40 Senatoren (15 Wallonen und 25 Flamen) werden in direkter Verhältniswahl gewählt. Die Wahlkreise entsprechen dabei ungefähr den Regionen Flandern, Wallonien und Brüssel. Der restliche Teil der Senatoren wird von den Gemeinschaftsräten gewählt und kooptiert (Woyke 1997: 362f). Der belgische Senat hat zwar das Recht zur Gesetzesinitiative, aber seine Position wird mehr als die einer Reflexions-Kammer gesehen. Der Senat soll die verschiedenen Sprachgemeinschaften repräsentieren (vgl. Woyke: 362).
In Luxemburg gibt es nur die Abgeordnetenkammer, also keinen Senat[9].

II.3. Wahlsystem

Die Abgeordnetenkammer wird in allen drei Benelux-Ländern nach dem Verhältniswahlsystem ohne Sperrklausel[10] gewählt. Im Gegensatz zur Mehrheitswahl, wird damit eine möglichst originalgetreue Wiedergabe des Wählerwillens erreicht. Auch kleine Parteien haben eine Chance ins Parlament zu kommen (vgl. Nohlen: 862). Besonders in den heterogenen Gesellschaften der Niederlande und Belgiens soll dies gewährleisten, daß keine Minderheit unterrepräsentiert wird. Sondern der »Proporz und das Aushandeln entwickelten sich hier zu Strategien der Regierungsbildung und der Konfliktschlichtung« (vgl. Nohlen: 862). Dies ist ein Merkmal von Konkordanzdemokratien.
In Belgien wird in 21 Wahlkreisen gewählt. Die Zahl der zu vergebenden Mandate in jedem Wahlkreis richtet sich nach dem Bevölkerungsanteil, der in ihm lebt. Die Stimmen werden nach dem Höchstzahlverfahren von d'Hont verrechnet (vgl. Woyke 1997: 371). Diese Stimmenverrechnung begünstigt kleine Parteien (vgl. Nohlen: 863). Dies deutet wieder auf ein konkordanzdemokratisches Element hin, das den Interessenausgleich zwischen möglichst vielen gesellschaftlichen Gruppen ermöglichen soll.
In den Niederlanden gibt es 19 Kammerwahlkreise, die aber nur für die Wahlbewerbung der Abgeordneten Bedeutung haben. Eigentlich gibt es nur einen großen nationalen Wahlkreis (vgl. Nohlen: 862). Es gibt keine Sperrklausel. So reichen schon 0,67% der Stimmen, um ein Mandat zu erringen.
In Luxemburg wird in 4 Wahlbezirken gewählt. Die Mandatszahl der einzelnen Wahlbezirke richtet sich nicht nach der Bevölkerungszahl. Von dieser disproportionalen Mandatsverteilung auf die Wahlbezirke profitiert vor allem die Christlich-Soziale Volkspartei im Norden und Osten des Landes. Es gibt zwar keine formelle Sperrklausel in Luxemburg, aber durch die großen Wahlkreise mit wenig Mandaten, gibt es rein wahltechnische Hürden. So sind je nach Wahlkreis zwischen 5% und 10% der Stimmen für ein Mandat nötig (vgl. Schroen: 391). Dies benachteiligt kleine Parteien und spricht dagegen, daß Luxemburg zu den Konkordanzdemokratien zu zählen ist.
Eine Besonderheit von Belgien und Luxemburg ist die Wahlpflicht (vgl. Woyke 1997: 369; Seidewitz: 388). Dadurch wird in Belgien eine Wahlbeteiligung von 90% erreicht. Aber laut einer Umfrage würden 40% der Wähler nicht zur Wahl gehen, wenn es keine Wahlpflicht gäbe. Ein Abschaffung der Wahlpflicht würde aber die Legitimität der politischen Eliten schwächen (vgl. Woyke: 370).

II.4. Parlament, Regierung und Staatsoberhaupt

Das offizielle Staatsoberhaupt in jedem der Benelux-Staaten ist der Monarch. Er ist nicht durch Wahlen legitimiert, sondern erlangt seine rechtliche Stellung durch Erbfolge. Alle Benelux-Länder sind somit parlamentarische Monarchien. In Belgien herrscht König Albert II., in den Niederlanden Königin Beatrix und in Luxemburg Großherzog Jean. In allen drei Ländern sind diese Staatsoberhäupter allgemein akzeptiert. In den Niederlanden ist man sogar nach langer Zeit der Republik wieder zur Staatsform der parlamentarischen Monarchie zurückgekehrt (vgl. Woyke 1997: 359; Lepszy 1997: 324).
Die Macht der Monarchen ist in allen drei Staaten sehr begrenzt. Abgesehen von seiner Rolle als Repräsentant des Landes, beeinflußt er die Regierungsbildung.

Regierungsbildung

Die Regierungsbildung ist bis auf Feinheiten in den Niederlanden und in Belgien gleich. König Albert II. bzw. Königin Beatrix setzen einen Informateur ein, der schon einmal die in Frage kommenden Koalitionsmöglichkeiten sondiert. In beiden Ländern ernennt der Monarch danach einen Formateur, der die Koalitionsverhandlungen führt. Hier ist die Macht der beiden Staatsoberhäupter recht groß, weil in beiden Ländern häufig verschiedene Koalitionsmöglichkeiten bestehen, da viele Parteien im Parlament sind (vgl. Woyke 1997: 359; Lepszy 1997: 325). In Luxemburg hat der Großherzog keinen Einfluß auf die Regierungsbildung. Jede Partei setzt ihren eigenen Formateur ein, der die Koalitionsverhandlungen führt (vgl. Schroen 1997: 386). Großherzog Jean von Luxemburg obliegt dann nur noch die Aufgabe, die Minister zu ernennen und zu vereidigen.
Die Regierungsbildung gestaltet sich besonders in Belgien und den Niederlanden sehr schwierig. Durch die starke Zersplitterung des Parteiensystems, gibt es mehrere mögliche Koalitionspartner und auch große Koalitionsregierungen. Erschwerend kommt in Belgien dazu, daß die Regierung zur Hälfte aus Flamen und zur Hälfte aus Wallonen bestehen muß (vgl. Woyke 1997: 364). Dies dient aber der Interessenvermittlung zwischen diesen beiden ethnischen Gruppen und ist auch ein Zeichen für die Konkordanzdemokratie Belgiens. Die Regierungsbildung der Niederlande gestaltet sich aber ebenso schwierig. Die Rekordzeit für die Aufstellung einer Regierung betrug 208 Tage (vgl. Lepszy: 330).
In allen drei Ländern führt der Formateur die Koalitionsverhandlungen. In der Regel wird er auch danach Premierminister. Die Macht des Premiers hängt stark von der Zahl der Koalitionspartner ab, mit denen er ja Vereinbarungen getroffen hat. So ist die Stellung des Ministerpräsidenten in Belgien und den Niederlanden durch 3-5 bzw. 4 Koalitionspartner relativ schwach. Die »nur« Zwei-Parteienregierungen in Luxemburg dagegen bewirken eine relativ starke Stellung des Premierministers.
Sollte die Regierungsbildung einmal scheitern bzw. eine Koalition auseinanderbrechen, dann hat der Monarch das Recht das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen. In Belgien kommt es durch die ethnischen Konflikte zwischen Flamen und Wallonen im Parlament zu vorzeitiger Parlamentsauflösung und damit zu Neuwahlen. Dadurch verkürzen sich die realen Wahlperioden auf weniger als 3 Jahre (vgl. Woyke 1997: 369).

Parlament

Die Parlamente der Benelux-Staaten lassen sich als Arbeitsparlamente klassifizieren. Die Gesetzentwürfe werden verstärkt in den Ausschüssen beraten (vgl. Woyke 1997: 361; Lepszy 1997: 327; Schroen 1997: 385). Dadurch ist die Macht der Regierung eingeschränkt.
Da in Belgien die Ausschußarbeit größtenteils nicht-öffentlich abläuft, gibt es dort vielfältige Einflußmöglichkeiten für Verbände, insbesondere Parteien (vgl. Woyke 1997: 361). Dadurch verliert das Parlament wiederum an Bedeutung (vgl. Siegemund: 300; Woyke 1997: 369).
In den Niederlanden wird durch verstärkte parlamentarische Kontrollbemühungen die Macht der Regierung eingeschränkt. Die niederländische Abgeordnetenkammer versteht sich als eigenständiges Verfassungsorgan. Sie bringt selber Gesetzentwürfe ein, berät die Gesetzentwürfe ausführlich und die Ausschußsitzungen werden im Fernsehen übertragen (vgl. Lepszy 1997: 327).
Ähnlich ist es auch im Parlament von Luxemburg. Dieses berät die Gesetzesvorlagen ebenfalls in den Ausschüssen, bevor sie abgestimmt werden. Die Öffentlichkeit wird über alle Debatten und Ausschußsitzungen durch den »Kammerbericht« informiert. Dieser wird wöchentlich und kostenlos an alle Haushalte Luxemburgs abgegeben. Diese Transparenz behindert den Einfluß von Parteien und Verbänden, im Gegensatz zu Belgien, wo die Ausschüsse nicht öffentlich beraten.

III. Schlußbemerkung

Abschließend bleibt zu betrachten, inwieweit die in der Einleitung erwähnten Kriterien auf die Benelux-Staaten zutreffen. Und sie damit als Konkordanzdemokratien zu bezeichnen wären. Dazu gehe ich noch einmal auf die Kriterien ein.
Zuerst einmal ist die Voraussetzung zu prüfen, ob wir es überhaupt mit heterogenen Gesellschaften zu tun haben, die starke Konfliktlinien beinhalten. In Belgien ist dies offensichtlich der Fall. Zwischen Flamen und Wallonen besteht ein sehr starker ethnischer cleavage. In den Niederlanden haben wir das System der »Versäulung«, das die cleavages zwischen Katholiken, Protestanten, Sozialisten widerspiegelt. Nur in Luxemburg gibt es keine so starken Konflikte. Erwähnenswert ist nur der sozio-ökonomische cleavage zwischen Unternehmern und Beschäftigten.
Nun gilt es die einzelnen Bedingungen für Konkordanzdemokratien zu überprüfen.
Das erste Kriterium war die Kooperation der Eliten. In Belgien ist die Kooperationsbereitschaft vorhanden. Denn erst 1993 wurde das vorhin beschriebene föderale System zwischen den Eliten ausgehandelt und eingeführt. Nur mangelt es in Einzelfällen noch an der Kooperation, denn durch Auseinandersetzungen zwischen Flamen und Wallonen kommt es immer wieder zur Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. In den Niederlanden sind die Regierungen etwas stabiler als in Belgien. Die niederländischen Eliten können wohl etwas besser miteinander kooperieren. Am besten klappt die Kooperation in Luxemburg. Dort gibt es sehr stabile Regierungen.
Die zweite Voraussetzung für die Stabilität einer Konkordanzdemokratie war die institutionalisierte Konfliktregelung. In Belgien werden die Konflikte größtenteils über das komplizierte System des Föderalismus »kanalisiert«. Auch die paritätische Besetzung der Regierung ist als Institutionalisierung der Konfliktregelung anzusehen. In den Niederlanden wird der Konflikt zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern stark von staatlicher Seite her geregelt. So gibt es einen paritätisch besetzten Sozio-Ökonomischen Rat, der zwischen diesen beiden Gruppen vermittelt (vgl. Lepszy 1997: 342).
Die dritte Bedingung für die Stabilität von Konkordanzdemokratien war, daß die Elitenentscheidungen von der Basis anerkannt werden. In Belgien ist diese Akzeptanz getrübt von den nicht-öffentlichen Ausschußsitzungen, die durch ihre geringe Transparenz nicht gerade zur Anerkennung der Elitenentscheidungen beitragen. Wogegen in den Niederlanden und Luxemburg durch die gut funktionierende Öffentlichkeitsarbeit eine hohe Akzeptanz zu erwarten ist.
Mit dieser Aufzählung gibt es einige Gründe die dafür sprechen, daß die Benelux-Staaten als Konkordanzdemokratien zu bezeichnen sind.

IV. Literatur


[1] Das waren die Anti-Revolutionäre Partei (ARP) und die Christlich-Historische Union (CHU)
[2] bis 1945 hieß sie SDAP
[3] Ausnahmen: 1946 und 1954 (vgl. Woyke 1997: 372)
[4] mit Ausnahme der Jahre 1974-79 (vgl. Lepszy/Woyke 1985: 187)
[5] Woyke 1997: 372; Schroen 1997: 386; Lepszy 1997: 331
[6] In Belgien gibt es zwei Volksgruppen mit unterschiedlichen Sprachen. Die im Norden ansässigen Flamen und die im Süden lebenden Wallonen, die französisch sprechen. Geschichtlich läßt sich eine Unterdrückung der Flamen innerhalb der belgischen Grenzen nicht abstreiten. Bis in dieses Jahrhundert hinein wurde die flämische Sprache in Belgien nicht anerkannt. Nur das französisch der Wallonier war amtlich. In diesem Jahrhundert kam zur Auflehnung der Flamen gegen diese Benachteiligung und damit zur langsamen Gleichstellung des Flämischen. Erst 1962 gab es das belgische Strafgesetzbuch nicht nur in französischer sondern endlich auch in flämischer Sprache (vgl. Schilling: 75).
[7] Zur Kooperation von Gemeinden untereinander gibt es Zusammenschlüsse von Gemeinden, sogenannte Syndikate. Es gibt eine Dachorganisation der Syndikate, die zwischen Zentralregierung und Gemeinden vermitteln soll.
[8] Sie kooperieren auch teilweise. So haben die flämische Gemeinschaft und die flämische Region ein gemeinsames Parlament.
[9] Als »Ersatz« für den Senat kann in Luxemburg der Staatsrat gesehen werden. Er hat 21 honorige Mitglieder, die vom Großherzog berufen werden. Er hat also keine demokratische Legitimation. Jeder Gesetzentwurf muß vom Staatsrat beurteilt werden. Also hat er ein aufschiebendes Veto im Gesetzgebungsprozeß. Außerdem regelt er administrative Streitigkeiten. Ist also in dieser Beziehung wieder mit dem Bundesverfassungsgericht vergleichbar.
[10] Es gibt zwar keine feste Sperrklausel, aber es ist ein Minimum an Stimmen nötig, um ein Mandat zu erringen, vor allem bei den kleinen Parlamenten der Benelux-Staaten. Die Kammern von Belgien und der Niederlande haben jeweils 150 Sitze und das von Luxemburg 60 Sitze.

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Zuletzt geändert: Februar 1999 von Mathias Wieland.